Am 24. Juni ist Johannistag – Für alle, die sich im christlichen Jahr nicht so auskennen, ist das relativ egal. Was aber ganz interessant sein könnte: Es ist Halbzeit. Am 24. Juni sind es genau sechs Monate vor und sechs Monate nach Weihnachten. Und schon wieder geht alles von vorn los. Die Zeit rennt.
Ich habe vorhin meinen Moderatoren-Text mal wieder aktualisiert und festgestellt, dass es das Forum inzwischen schon eine ganze Weile gibt. Damals war ich 16, hatte keinen Plan von der Welt und steckte mitten in einer Geschichte, mit der ich aufgewachsen bin – wie die meisten von euch auch. Heute bin ich 20, habe immer noch keinen Plan von der Welt und frage mich, ob ich nicht irgendwie aus dieser Geschichte herausgewachsen bin.
Ich sage immer wieder, ich habe keine Zeit, regelmäßig hier im Forum vorbeizuschauen, und das stimmt auch. Auf der anderen Seite heißt es: Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich. Die Wahrheit ist: Es ist eine seltsame Sache mit der Zeit, und irgendetwas macht sie mit uns. Manchmal driften wir ab, manchmal verankert sie uns tiefer in dem, was wir sind.
Es gibt für jedes Buch diesen Moment, in dem man den letzten Satz zum ersten Mal liest. „Alles war gut.“ Ein Atemzug. Und dann schließt man den Buchdeckel, dreht es um, sieht es einen Moment an, blättert vielleicht noch einmal hindurch, um es dann ins Regal zu stellen.
Diesen Moment gibt es nur ein einziges Mal. Beim nächsten Mal existiert er nicht mehr. Man klappt das Buch zu und stellt es wieder ins Regal. Mit jedem Lesen taucht man tiefer in die Geschichte ein und steht doch weiter außerhalb.
Warum ich euch das erzähle? Weil die Diskussionen um die Bücher immer weniger und die Fragen nach dem Hintergrund immer mehr werden. Was passiert mit wem? Was ist eigentlich damit? Warum ist das so und nicht anders? Wir basteln unsere Fanfictions, weil wir so tun wollen, als würden wir immer noch in dieser Welt leben, obwohl wir sie von außen analysieren und hinterfragen. Wir haben beim ersten Lesen das Leben der Figuren geteilt. Aber langsam ist dieses Teilen zur Geschichte geworden, auf die man zurückblickt.
Ich habe mir nie ein Bild von den Figuren gemacht. Selten von den Szenen. Irgendwie kam es immer nur auf das Gefühl an. Jetzt ist es schon einige Jahre her, dass ich die Bücher zuletzt gelesen habe. Und ich habe Angst davor, es wieder zu tun, weil das Gefühl ein anderes ist. Und ich würde alles darum geben, die Bücher noch einmal so lesen zu können wie beim ersten Mal.
„The stories we love best do live in us forever.“
Dass dieser Satz stimmt, bezweifle ich nicht. Allerdings fangen Geschichten irgendwann an, durch ihre Botschaft zu leben. Wie oft hört man Leute über die Bibel reden: „Es geht nicht darum, ob das stimmt, sondern um die Botschaft.“ Märchen werden nicht mehr erzählt, um die Geschichten zu erleben, sondern „weil Kinder daraus viel lernen können.“ Hörbücher „kann man so nebenbei laufen lassen.“ „Hermione taught us that…“
Was passiert mit uns?
Ich glaube, irgendwann fangen wir an, unsere eigene Geschichte so sehr zu leben, dass wir uns nicht mehr in Märchen und Legenden flüchten wollen, können oder müssen. Vielleicht auch alles davon. Das ist normal, und das ist auch gut so. Aber irgendwann kommt dieser Augenblick, in dem wir ein Buch in die Hand nehmen und uns erinnern, wie es damals war.
Wir sagen immer, die Geschichte verlässt uns nicht. Sie lebt in uns. Aber kann sie in uns leben, wenn wir neben ihr stehen? Darum möchte ich euch heute einladen, ein ganz besonderes Projekt mit mir zu beginnen. Die Zeit hält nicht an, doch sie lässt uns auch nicht los. Dinge wiederholen sich. Die Zeit läuft vorwärts – die Uhr läuft im Kreis. Das gibt uns jeden Tag die Chance, einen neuen Anfang zu wagen.
Ich nenne es „Projekt Time-Out“. Machen wir uns nichts vor. Die Jahre lassen sich nicht zurückdrehen. Ich bin nicht mehr das Kind, das mit sechs oder sieben Jahren das erste Mal „Harry Potter und der Stein der Weisen“ aufschlug. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, einen neuen Anfang zu wagen. Den Zauber wieder neu zu entdecken. Wieder in der Geschichte zu stehen statt neben ihr. Ich werde dieses Buch aufschlagen, als hätte ich es nie gelesen. Und ich würde mich freuen, wenn ihr dabei seid.
„Alles war gut.“ Keine Geschichte hat ihr Ende so sehr verdient wie diese. Doch das bedeutet nicht, dass sie nicht unendlich ist.